Nina, der ängstlichste Wachhund der Welt

Valentino Brasilero

Der Anflug auf Sao Paulo war atemberaubend: Nicht, dass der Pilot irgend etwas falsch gemacht hätte. Nicht, dass es besonders schlechte Wetterbedingungen gegeben hätte. Nein, das besondere war der Landeanflug über eine endlos lange Betonwüste. Hunderte, ja tausende gigantische Hochhäuser aus Beton und Stahl ragten in den Himmel - da konnte selbst New York nicht mithalten. 

 

Nach der Ankunft in Guarulhos International, dem größten Flughafen in Sao Paulo, musste ich noch durch die Einreisekontrolle, dann den Koffer abholen, durch den Zoll und dann anschließend mein Empfangskomitee suchen. Ich hatte damit gerechnet, dass mich Lissandra alleine abholen würde, doch es kam anders. Beinahe die gesamte Familie schien neugierig auf mich zu warten. Als wir den Koffer dann im kleinen Fiat Uno verstaut hatten, fuhren wir mit den beiden Autos (in eins hätte die ganze Familie schlecht hinein gepasst) zurück nach Cotia. Die knapp 40 Kilometer über die Autobahn waren eine quälende Strapaze - wir brauchten knapp vier Stunden im dichten Feierabendverkehr der größten Stadt Brasiliens. Mein erster Eindruck war nicht der Beste, aber ich wollte auch nicht voreingenommen sein und der Stadt und dem Land weiterhin eine faire Chance geben. Immerhin war ich auch ziemlich erledigt von der Reise und das kann so manchen ersten Eindruck versäuern. 

Als wir dann endlich am Haus meiner Gastfamilie in Cotia angekommen waren, die Autos durch das große Stahltor hinein in den Hof lenkten, da begrüßte mich auch schon Nina. Begrüßen stellen Sie sich nun vielleicht ein wenig zu herzlich vor! Kaum war ich aus dem Auto ausgestiegen, da jagte der Hund rasant ums Auto herum, quasi wie ein weißer Hai um seine Beute. Doch jedesmal, wenn er gerade kurz vor mir war, kam sie abrupt zum Stehen, knurrte mich gespielt boshaft an, um dann blitzartig wieder die Richtung zu ändern und den Weg zurück in die andere Richtung zu jagen. Hin und her und her und hin, so hieß unser erster Tanz.

 

In den folgenden Tagen wurde es auch nur ganz allmählich besser. Man merkte diesem Wachhund seinen Zwiespalt förmlich an: Einerseits wollte Nina natürlich Hof und Familie beschützen und sie kannte mich ja noch gar nicht, stufte mich sodann zunächst als Bedrohung, quasi als Feind der Familie ein. Andererseits war sie aber auch schlichtweg zu feige, um etwas zu unternehmen. Wie der HSV in den letzten Jahren, so hatte auch Nina das Spiel noch vor dem Anpfiff verloren.

 

Ich kaufte also ein paar verschiedene Snacks im Supermarkt. Da ich noch nicht genau wusste, was sie besonders mögen würde, entschied ich mich dafür, eine reiches und buntes Sortiment mitzunehmen. Ein Freund aus Deutschland, seines Zeichens Hundezüchter und Hobbysodomit, empfahl mir, mich hinzuhocken, so dass ich auf Augenhöhe mit Nina wäre. Auch wenn es mich so manches Mal teuer zu stehen kam, auf ihn zu hören, so folgte ich in diesem Punkte seinem aufdringlichen Rat. Mit Erfolg, wie sich später zeigte.

 

Zunächst beäugte mich Nina noch aus sicherer Entfernung und wagte es kaum, sich auf ihren vier Pfoten zu nähern. Ich verharrte bewegungslos bis sie dann doch endlich näher kam. Wie sich ein katholischer Priester dem Puff nähern - ok schlechtes Beispiel, das sehe ich nun ein. Neuer Versuch: Wie sich ein Affe dem Wasser nähern würde, so näherte sich auch Nina mir und meinem mit ausgestreckten Arm hingehaltenem Snack. Ganz ganz vorsichtig kam sie endlich näher, kurz vor dem Zubeißen guckte sie mir noch einmal tief in die Augen, um zu überprüfen, ob ich nicht doch einen gemeinen Hinterhalt für sie geplant hatte. Dann endlich biss sie schnell zu, schnappte das Leckerli und verschwand wieder in Windeseile. 

 

Das war dann unser zweiter Tanz, den wir in den darauf folgenden Tagen immer wieder wiederholten. Nach etwa zwei Wochen Monotonie konnten wir dann unsere Beziehung endlich etwas bunter gestalten: Zum ersten Mal lief sie beim Füttern nicht mehr davon, zum ersten Mal durfte ich sie streicheln und zum ersten Mal durfte ich sie duschen.

 

 

Nun hatte sie endlich keine Angst mehr vor mir und es kam sogar noch besser: Nun begrüßt sie mich jedes Mal, wenn wir uns sehen. Nun springt sie mich ständig an, leckt mir die Füße und versucht mich mit den vorderen Pfoten zu umarmen. Nun ist sie mein Hund und hört auf mich, zumindest mehr als auf den Rest der Familie. Und das ist schon ein erheblicher Fortschritt. Wenn wir es jetzt auch noch schaffen sollten, ihr die Angst vor Fremden zu nehmen, so wird sie am Ende vielleicht doch noch ein brauchbarer Wachhund und ich könnte nachts wesentlich ruhiger schlafen. 

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