Unterwegs in Südostasien
"El Nikiiiiiiiiiiiiiiii," platzte mir das erste Trommelfell am Telefonhörer aus dem Schädel. "Südostasien, mehr muss ich nicht sagen oder?" Zweifelsohne war es Christian, der mir das Wochenende versauen wollte. Ich hatte so sehr auf ein bisschen Ruhe gehofft. Mein Magen fing sogleich an zu brennen.
"China Lestaulant Pekin, sie wolle bestelle lecke esse?" mimte ich eine alte asiatische Frau am Telefon.
"Ach, el Nikki, ich weiß doch, dass du das bist. Hör' auf mit dem Scheiß!"
"Wil habe lecke Enteee, Swein, oder Lind. Mache fick und fertich in 20 Minute." so schnell wollte ich nicht aufgeben.
"Nüüüüggi, du glaubst doch nicht etwa, ich zahle deiner Telefongesellschaft jeden Monat 100 Euro, nur um als Letzter zu erfahren, wenn du deine Nummer änderst! Du bist hier auf Kurzwahl Eins eingespeichert! Also hör auf mit dem Mist und lass uns über Südostasien sprechen."
"Ok, Südostasien - du hast dich also endlich entschlossen, doch noch zu heiraten und dir fehlt die passende Frau, also eine, die den radioaktiven Sondermüll auch ohne Gummihandschuhe anpackt! So bist du also auf Südostasien gekommen?" Nun gab ich mich doch zu erkennen. Es hatte ohnehin keinen Sinn, er würde nicht aufgeben.
Christian lachte herzhaft am Telefon. "Kleiner Teufel du! Fast könnte ich glauben, du freust dich gar nicht auf meine Anrufe."
"Tue ich auch nicht, also hör auf hier anzurufen. Ich musste damals eine Art Blackout oder so etwas gehabt haben, als ich dich durch das mündliche Abi geschleust habe. Warum habe ich das nur getan? Seitdem werde ich dich einfach nicht mehr los."
"Aber dafür revanchiere ich mich doch immer mit neuen und bunten Abenteuern bei dir. Dieses Mal Südostasien kleiner Nikki - du letzter Dominikaner du. Was wäre dein Leben nur langweilig ohne mich?"
"Ja, und vor allem so sicher und bodenständig. Einfach nur herrlich! Aber im Ernst: ich zahle hier immer noch diese Südafrika-Geschichte ratenweise ab und überhaupt muss ich ab und zu auch mal ein Semester studieren, da kann ich nicht ständig auf dich aufpassen. Jedes Mal wenn ich von einem deiner Abenteuer zurück komme, brauche ich erstmal mindestens drei Wochen komplette Erholung in irgend so einem völlig isoliertem Refugium. Letztes Mal war ich im Kloster Maulbronn. Verstehen Sie?" ich legte all mein Verhandlungsgeschick in die Waage.
Christian bekam sich kaum noch ein vor Lachen. "Verstehe, aber mit deinen 32 Jahren bist du doch ohnehin noch ein junger Spund im Studium. Hast ja allerhand Zeit! Also ich hatte da an drei Monate gedacht. Die große Hafenrundfahrt durch Südostasien: Thailand, Kambodscha, Laos, Singapur, Myanmar, Vietnam, Malaysia und wozu du eben noch Lust hättest. Quasi einmal den Mekong entlang - man nennt es auch die Fahrt der Moskito-Orgie! Denk nur an all die Stempel im Pass, El Nikki - das wird das reinste Kunstwerk. Gibt hier gerade nen Flug nach Bangkok für lächerliche 555 Euro - das ist ja quasi geschenkt! Erzähl mir nicht, dass du da nicht schwach wirst."
"Schwach werde ich schon, sobald ich nur deine Stimme am Telefon höre."
"Na also, geht doch. Flug für dich dann wie gehabt über Frankfurt, für mich über Bremen und wir treffen uns dann in Paris, El Nikki, der Stadt der Liebe. Ich freu mich schon so. Ich hab hier alles schon in der Vorbereitung, muss quasi nur noch auf buchen drücken und schon kann es losgehen, du Weltenbummler du. Soll ich drücken? Soll ich?" Christian platzte fast vor Aufregung.
"Nee, Moment mal, so meinte ich das überhaupt nicht!" versuchte ich noch die Kurve zu bekommen, aber irgendwie fühlte ich mich längst wie ein kleiner Beluga vor dem japanischem Walfängerboot. "Ich hab' da ehrlich überhaupt keine Kohle für momentan. Die Kiregskasse ist komplett leer!"
"Ach Nikki, erzähl mir doch nichts! Im zweiten Tab hab ich hier doch deine Finanzübersicht geladen. Deine Lebensversicherung sieht doch recht schick aus. Wenn du die jetzt plünderst, dann bist du doch voll dabei. Bleibt vielleicht sogar noch etwas über... Wer weiß das schon? Und der entsprechende Fond hat ohnehin keine Zukunft - das kann ich dir versprechen. Den musst du so oder so abschütteln wie ein benutztes Kondom!"
Wie machte er das nur? Woher wusste er von meinen Anlagen und wie kam er an die Übersicht? Die Zahlen und auch der Fond stimmten. Ich war gleichermaßen beunruhigt und neugierig fasziniert. Eine gefährliche Mischung. "Nein, Chrissi - diese Lebensversicherung ist meine Altersvorsorge - wovon soll ich später sonst leben?"
"Ach Nikki, wir wissen doch beiden, dass du bei deinem Lebenswandel nicht wirklich alt wirst! Warum also den Erben alles hinterlassen?"
Da hatte er nicht ganz unrecht. Der kleine Beluga hatte die Kraft verloren und der Walfänger zog ihn langsam an Bord.
"Ich deute dein Schweigen dann mal als Zustimmung. Wenn du in den nächsten 10 Sekunden nichts sagst, dann werde ich auf buchen drücken. Danach kündige ich dann deine Lebensversicherung und fange mit der Planung der Hotels an. Also zehn..."
Meine Kehle war trocken und ich suchte nach Argumenten.
"drei, zwei, eins. Gebucht! El Nikki, ich gratuliere dir zu deiner weisen Entscheidung. In vier Tagen geht's los. Pack schnell den Rucksack und dann ab zum Flughafen. Ich schicke dir weitere Anweisungen per E-Mail."
"Chrissi, warte mal. Was heißt hier vier Tage? Das ist ein Scherz oder? Also ich bin hier gerade mitten in einer Hausarbeit und ich habe einen Abgabetermin in zwei Wochen. Hallo?" aber ich hörte nur noch statisches Rauschen in der Leitung und sogleich ploppte eine neue E-Mail mit dem Titel "Nur noch vier Tage kleiner Dominikaner du" in meinem Postfach auf...
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